Betroffene von Menschenhandel

Laut KOK e.V. ist Menschenhandel eine schwere Menschenrechtsverletzung. Bei Menschenhandel sollen Personen in eine Ausbeutungssituation gebracht werden, in dem eine Notlage, wirtschaftliche Zwangslage oder eine auslandsspezifische Hilflosigkeit ausgenutzt wird. Letzteres meint, dass sich Menschen in einem Land befinden, dessen Sprache sie nicht oder kaum sprechen, dessen Rechtslage sie nicht kennen und wo sie kein soziales Netzwerk haben. Oftmals geht der Menschenhandel mit Zwang, Nötigung, Gewalt oder Täuschung einher. Dabei werden die Personen mit dem Ziel der Ausbeutung in ihrer Handlungsfreiheit so weit eingeschränkt, dass sie nicht mehr frei über ihre Arbeitskraft verfügen oder ihre Situation bestimmen können.

Es gibt verschiedene Formen der Ausbeutung:

  • sexuelle Ausbeutung / Zwangsprostitution
  • Arbeitsausbeutung
  • Ausbeutung von Betteltätigkeit
  • Ausbeutung strafbarer Handlungen
  • Erzwungene Organentnahme
  • Ausbeutung von Leihmutterschaft
  • Zwangsheirat
  • Illegale Adoption

Menschenhandel kann in allen Branchen vorkommen und alle Personen betreffen. Menschenhandel gehört zu den Erscheinungsformen von organisierter Kriminalität.

Die Richtlinie 2024/1712 vom 13. Juni 2024 zur Änderung der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer (EU-Menschenhandelsrichtlinie) legt Mindesvorschriften zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels fest. Die Richtlinie zielt insbesondere auch auf die Erleichterung von Prozessen gegen Täter*innen und die Sicherung der Rechte der von Menschenhandel betroffenen Personen.
Menschenhandel kann verschiedene Formen annehmen. Im deutschen Strafrecht definiert sind dabei sexuelle Ausbeutung, Arbeitsausbeutung, Ausbeutung bei der Begehung strafbarer Handlungen, Ausbeutung bei Bettelei und rechtswidrige Organentnahme (in Deutschland selten). Durch die Änderung der Richtlinie werden ab 2026 auch Zwangsheirat, Ausbeutung von Leihmutterschaft und illegale Adoption als Formen der Ausbeutung aufgenommen.

MÖGLICHE (SCHUTZ-)BEDARFE

AUFENTHALTSRECHT

Neben den bekannten Schutzformen für Geflüchtete (Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz, humanitärer Aufenthalt) kommen für Betroffene von Menschenhandel noch weitere Aufenthaltstitel in Frage. Zum einen wird nach § 25 Abs. 4a/b AufenthG bei einer Kooperation mit Strafverfolgungsbehörden (Zeugenaussage im Verfahren gegen Täter*innen) eine Aufenthaltserlaubnis zunächst für ein Jahr erteilt und ist insgesamt an die Dauer des Strafverfahrens geknüpft. Dies findet jedoch unter der Bedingung statt, dass Staatsanwaltschaft oder Strafgericht die Anwesenheit der Zeug*in für sachgerecht erachten, die Betroffenen den Kontakt zu den Täter*innen abgebrochen haben und bereit sind als Zeug*innen auszusagen. Dieser Titel kann nach Abschluss des Strafverfahrens verlängert werden.
Außerdem ist die sogenannte Bedenk-und Stabilisierungsfrist nach § 59 Abs. 7 AufenthG zu beachten. Liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass eine Person von Menschenhandel, Zwangsarbeit/Zwangsprostitution und/oder Ausbeutung betroffen ist, ist eine Ausreisefrist von grundsätzlich mindestens drei Monaten zu gewähren. In dieser Zeit soll sich die betroffene Person stabilisieren, Unterstützung erhalten und sich dem Einfluss der Täter*innen entziehen können. In dieser Phase können Betroffene entscheiden, ob sie gegen die Täter*innen aussagen und mit den Strafverfolgungsbehörden kooperieren. Nehmen Sie die Angst der Betroffenen um die eigene Sicherheit und die von Angehörigen ernst. Es ist wichtig, Betroffenen ausreichend Zeit einzuräumen, um eine Entscheidung bezüglich einer Anzeige bzw. Kooperation mit der Polizei zu treffen. Bei Bedürftigkeit kann ein Beratungshilfeschein beim Amtsgericht beantragt werden, bzw. bei Klage ein Antrag auf Prozesskostenhilfe gestellt werden. Es empfiehlt sich dringend, Betroffenen den Kontakt zu einer spezialisierten Fachberatungsstelle zu vermitteln. Die Berater*innen haben sowohl Erfahrung in der Beratung Betroffener von Menschenhandel als auch Kenntnisse spezieller Rechte für Betroffene von Menschenhandel sowie häufig bereits Kontakt und Kooperationen mit den relevanten Akteuren wie Polizei, BAMF oder Ausländerbehörden.
Für die Anhörung im Rahmen des Asylverfahrens ist der Einsatz eines*einer Sonderbeauftragten zu empfehlen. Dies sind anhörende Entscheider*innen, die zu Menschenhandel sensibilisiert sind und den Vortrag Schutzsuchender dahingehend besser einordnen können. Wenn erst nach der Anhörung ein Verdacht auf Menschenhandel deutlich wird, sollte trotzdem – nach Zustimmung der schutzsuchenden Person – das BAMF informiert werden, damit bei der weiteren Bearbeitung des Falls ein*e Sonderbeauftragte*r hinzugezogen wird. Dies ist insbesondere bei Dublin-Verfahren zu beachten. Ausbeutung findet auch auf der Flucht statt –eine Rücküberstellung in ein anderes europäisches Land kann eine Abschiebung zurückin die Ausbeutungssituation bedeuten. Es kannsein, dass eine schutzsuchende Person ihrenFluchtweg überhaupt nur deshalb fortgesetzthat, um einer solchen Situation zu entkommen.Beispielsweise ist in Italien ein weitreichendesNetz nigerianischer Menschenhändler*innenbekannt, die von den systemischen Mangeln imitalienischen Aufnahmesystem und den darausresultierenden schlechten humanitären Bedingungen profitieren.

UNTERBRINGUNG

Häufig besteht auch nach der Aufnahme in Deutschland weiterhin Kontakt zu Täter*innen, die die Betroffenen bedrohen und versuchen, sie an der Strafverfolgung zu hindern, oder imaginäre Schulden eintreiben wollen.. Eine Unterbringung in einer Erstaufnahmeeinrichtung kann in solchen Fällen ein großes Risiko darstellen. Die betroffene Person sollte daher so schnell wie möglich das Angebot erhalten, in eine separate Unterkunft und möglicherweise auch in ein anderes Bundesland umzuziehen, um sie vor den Täter*innen zu schützen. Dies ist auch in den Verwaltungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz geregelt. Abhängig davon, ob Kontakt zu Täter*innen in Deutschland besteht, und anderen individuellen Kontextfaktoren sollte in jedem Einzelfall gemeinsam mit den einbezogenen Akteur*innen und der betroffenen Person entschieden werden, wo der bestmögliche Schutz für sie gewährleistet ist. Neben Unterbringungseinrichtungen für besonders Schutzbedürftige gibt es hier oft auch die Möglichkeit, mit spezialisierten Schutzhäusern zusammenzuarbeiten und die betroffene Person dort anzubinden. Neben der fachlichen Expertise vor Ort ist hier ein weiterer Vorteil, dass die schutzsuchende Person während des Asylverfahrens für Täter*innen schwerer auffindbar ist als in einer regulären Aufnahmeeinrichtung.

LEISTUNGEN

Seit dem 1. Januar 2024 haben Betroffene von Menschenhandel haben unter bestimmten Voraussetzungen Zugang zu Entschädigungsleistungen nach dem SGB XIV (Soziales Entschädigungsrecht), welches das Opferentschädigungsgesetz (OEG) abgelöst hat. Ausländer*innen haben die gleichen Ansprüche wie Deutsche (§7 SGB XIV). Soziale Entschädigung steht Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft nur zu, wenn die Tat in Deutschland geschah. Geflüchtete erhalten keine Leistungen für Taten im Herkunftsland oder auf der Flucht durch andere Länder. Nach neuem Recht werden neben physischen auch psychische Gewalttaten erfasst; hierzu zählen alle Formen des Menschenhandels. Die Leistungen nach dem SGB XIV umfassen u.a. Leistungen des Fallmanagements und Leistungen in einer Traumaambulanz als als sogenannte Schnelle Hilfen, Krankenbehandlung, Teilhabeleistungen, Leistungen bei Pflegebedürftigkeit, Entschädigungszahlungen, Berufsschadensausgleich, Besondere Leistungen im Einzelfall und Härtefallregelungen. Auch Fahrt- und Betreuungskosten und Aufwendungen für Sprachmittlung können unter bestimmten Voraussetzungen vom Träger der Sozialen Entschädigung übernommen werden.

IDENTIFIZIERUNG, SENSIBLE ANSPRACHE UND UMGANG

Häufig haben Betroffene von Menschenhandel Angst, von dem Erlebten zu berichten, sind noch abhängig von den Täter*innen oder werden von diesen bedroht und unter Druck gesetzt. Scham und Angst vor Strafverfolgung und/oder einer Abschiebung stellen weitere Hürden dar. Viele Betroffene leiden stark unter ihrer Situation, wissen aber nicht um die damit verbundenen Schutzrechte oder befürchten, dass ihnen nicht geglaubt würde. Daher berichten sie oft nicht von ihren Erfahrungen, auch nicht während der Anhörung. Behalten Sie das Thema Menschenhandel bei der Beratung im Hinterkopf und schenken Sie entsprechenden Indikatoren Aufmerksamkeit. Das Vorliegen einzelner Indikatoren bedeutet nicht zwingend, dass ein Fall von Menschenhandel vorliegt. Bei der Ansprache mehrerer Indikatoren sollten Sie sich Unterstützung durch spezialisierte Fachstellen suchen und die betroffene Person über das Thema und die damit verbundenen Rechte Betroffener informieren.
Mögliche Indikatoren können sein:

  • Ausweisdokumente der Person sind in den Händen Dritter
  • Die Person begegnet staatlichen Behörden mit sehr großem Misstrauen/hat große Angst
  • Die Person steht unter ständiger Beobachtung oder erhält Drohanrufe
  • Die Person ist in großer Sorge um Familienangehörige
  • Die Person wurde über die Erfolgsaussichten des Asylantrags und die Lebensbedingungen in Deutschland getäuscht
  • Zwischen Einreise nach Deutschland und Asylantragstellung besteht eine deutliche Zeitverzögerung

Herkunftsland: Für das Herkunftsland Nigeria existieren spezifische Indikatoren für Menschenhandel. Werden Sie hellhörig, wenn von Vodoo bzw. Juju (ein in vor allem westafrikanischen Ländern verbreiteter Glaube, der von Menschenhändler*innen ausgenutzt wird) die Rede ist. Täter*innen, oder Personen, die Kontakte vermitteln werden oftmals “madames”, “aunties” oder “sisters” genannt.

 

HANDLUNGSEMPFEHLUNG

Stellen Sie einen Kontakt zu einer Fachberatungsstelle für Menschenhandel her, sobald ein Verdacht besteht. Händigen Sie potenziell Betroffenen Kontaktdaten zu Fachberatungsstellen aus. Achten Sie im Gespräch auf die oben genannten Indikatoren. Halten Sie Informationsmaterial für Betroffene von Menschenhandel bereit um dies an potenziell Betroffene weiterzugeben. Informieren Sie potenziell Betroffene über ihre oben beschriebenen Rechte.

WICHTIGES INFORMATIONSMATERIALINFORMATIONSMATERIAL

KOK (2020). Menschenhandel im Kontext von Flucht. Ein Leitfaden zur Unterstützung von Betroffenen.

KOK (2021). Betroffene von Menschenhandel im Kontext von Flucht

KOK (2020) Betroffene von Menschenhandel im Asylkontext erkennen.

KOK (2022). Kurzbroschüren zu verschiedenen Formen der Ausbeutung.

bff, BKSF, KOK (2024). SGB XIV: Das neue Soziale Entschädigungsrecht. Eine Praxishandreichung zur
Unterstützung Betroffener von sexualisierter Gewalt, häuslicher Gewalt und Menschenhandel